
Prototyping – Grundlagen und Vorteile
- Veröffentlicht am 1. Dezember 2021
Die Entwicklung von Anwendungssoftware ist äußerst komplex und zeitintensiv. Daher wäre es ziemlich frustrierend, wenn man erst nach der Fertigstellung feststellt, dass die Anforderungen an die Software falsch verstanden wurden, die Oberfläche nicht intuitiv bedienbar ist oder die Endanwender*innen sich eigentlich etwas anderes vorgestellt haben. Im Nachhinein grundlegende Funktionen einer Anwendung zu ändern ist nicht nur sehr zeitaufwendig und kostspielig, es führt auch zu Frustration und einem schlechten Verhältnis zwischen Entwicklerteam und Kund*innen.
Wie kann man dieses verheerende Szenario also verhindern?
Die Lösung liegt in der Erstellung von Prototypen. Diese „Muster“ der zu entwickelnden Anwendungen sind schnell erstellbar und können von Kund*innen und Endanwender*innen getestet und bewertet werden noch bevor eine einzige Zeile Code geschrieben wurde. Sobald ein Prototyp soweit angepasst ist, dass alle Beteiligten zufrieden sind, kann er für die eigentliche Software als Vorlage dienen. Durch dieses Vorgehen kann bei der eigentlichen Entwicklungsarbeit eine Menge Zeit und somit Geld gespart werden.
Was ist ein Prototyp?
Ein Prototyp ist eine Art Muster, welches die spätere Anwendung in Auszügen oder als Ganzes repräsentiert. Er wird vor oder während der eigentlichen Entwicklung erstellt und dient meist als Grundlage für die Kommunikation mit Kund*innen und Entwickler*innen, da hiermit alle das gleiche Bild vor Augen haben. Erstellt werden Prototypen meist mit spezieller Software, die es ermöglicht sehr schnell und ohne Programmierkenntnisse einen funktionsfähigen Dummy der Anwendung zu erstellen.
Wireframe
Ein Wireframe ist eine statische Skizze aus Linien und Kästen, die eine Anwendung repräsentiert. Sie ist in Schwarz-Weiß und Grautönen gehalten und bildet das Grundgerüst für das spätere Design und die Struktur. Details und Inhalte werden außen vor gelassen. Wireframes werden erstellt, um mit Ihnen den Aufbau und das Konzept einer Anwendung kommunizieren und diskutieren zu können.
Mockup
Ein Mockup geht mehr ins Detail als ein Wireframe. Hier geht es in erster Linie um das Design ohne Interaktionsmöglichkeiten. Das Layout wird möglichst so dargestellt, wie es später in der Anwendung aussehen soll. Das Bild, welches man von der Benutzeroberfläche im Kopf hat, wird klarer und bietet eine gute Grundlage zur Kommunikation.
Prototyp
Ein Prototyp ist ein Mockup, welches um Interaktionen ergänzt wird. Er bietet zwar keine richtige Funktionalität, aber er simuliert die Interaktionen so, dass man mit ihm die Anwendung bereits vor der Programmierung testen kann. Es ist quasi eine fertige Repräsentation der Anwendung, mit der Feedback eingeholt und schnell eingearbeitet werden kann.
Da sie jedoch keine richtige Funktionalität und keine Datenbanken enthalten, sondern lediglich das spätere Verhalten der Anwendung simulieren, können Prototypen keine programmierte Software ersetzen.
Je nachdem, wofür genau er benutzt werden soll, gibt es verschiedene Arten von Prototypen, die sich in Bezug auf Funktionalitätsumfang, Aufbau und Optik unterscheiden.
Welche Arten von Prototypen gibt es?
Explorative Prototypen
Diese Art von Prototyp wird vor allem dann eingesetzt, wenn die Anforderungen an eine Software nicht ganz klar sind. Es geht hierbei in erster Linie um die fachliche Ebene und die Funktionalität einer Anwendung, nicht um das Design. Mit Hilfe eines Prototypen können verschiedene Lösungsansätze ausprobiert, mit den Kund*innen diskutiert und beurteilt werden. Somit werden die Anforderungen nach und nach alle geklärt, um letztlich mit Hilfe des Prototyps zu beurteilen, ob die bestehenden Probleme auf die vorgeschlagene Weise gelöst werden können. Gleichzeitig erhalten die Entwickler*innen die Möglichkeit, sich ein Bild der gewünschten Anwendung zu machen und deren Umsetzbarkeit einzuschätzen.
Experimentelle Prototypen
In einem experimentellen Prototypen soll nicht die Umsetzung einzelner Funktionen abgebildet, sondern das große Ganze betrachtet werden. Somit kann beurteilt werden, wie gut die Struktur der Anwendung und insbesondere das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten funktioniert und ob es unproblematisch ist weitere Bereich hinzuzufügen. Dabei werden zunächst alle Teilsysteme definiert und deren Funktionen kontrolliert. Anschließend werden die Schnittstellen zwischen den Komponenten überprüft. Allgemein geht es darum, verschiedene Möglichkeiten zur Realisierung der Anwendung zu finden und dabei Probleme zu analysieren und eine vollständige Spezifikation der Systemkomponenten durchzuführen.
Bei dieser Art des Prototypings stehen die technischen Fragen im Vordergrund. Sie sollen mit dessen Hilfe geklärt und auf ihre Realisierbarkeit hin überprüft werden.
Evolutionäre Prototypen
Das evolutionäre Prototyping ist eine Methode, um sich schrittweise dem Endprodukt zu nähern. Dabei werden zunächst die offensichtlichen Anforderungen umgesetzt. Diese gelten als Grundlage für den nächsten Schritt. Nach jeder Etappe wird Feedback aller Beteiligten (Kund*innen, Endanwender*innen und Entwickler*innen) eingeholt und eventuelle Korrekturen durchgeführt. Dadurch wird sichergestellt, dass die Anwendung alle Anforderungen erfüllt. Es kann also schon sehr früh überprüft werden, ob die Anwender*innen mit der Software zufrieden sind und ob ihrer Meinung nach Funktionen fehlen. Schritt um Schritt wird der Prototyp solange erweitert, bis er schließlich die finale Anwendung repräsentiert. Der Prototyp dient als „Vorlage“ für die eigentliche Software.
Horizontale Prototypen
Hier wird nur eine einzelne Ebene der Anwendung ausgearbeitet. In vielen Fällen ist dies die Benutzeroberfläche. In diesem Fall treten dann Funktionalität, Inhalte und Logik in den Hintergrund und man konzentriert sich einzig auf das Design. Dieses wird übergreifend über die gesamte Anwendung ausgearbeitet, sodass diese Schicht des Gesamtsystems vollständig realisiert ist.
Vertikale Prototypen
Im Gegensatz zum horizontalen Prototyping konzentriert man sich hier auf einen ausgewählten Bereich der Anwendung und bildet diesen möglichst vollständig ab.
Der Prototyp stellt somit einen Ausschnitt aus der Anwendung dar, der weitestmöglich so funktionieren soll, wie später im fertigen System. Eingesetzt werden vertikale Prototypen meist dann, wenn nicht sicher ist, ob die geplante Funktionalität realisierbar ist. Sobald ein Teil als Prototyp fertig umgesetzt, durchgesprochen und akzeptiert wurde, kann er in der eigentlichen Anwendung umgesetzt werden.
Wozu Prototypen bauen? Was sind die Vorteile?
Im ersten Moment scheint es so, als sei die Erstellung eines Prototypen eine Sache, die unnötig Zeit und Geld kostet. Wozu erst ein Muster einer Anwendung entwickeln und sie dann noch einmal genauso nachbauen? Wenn schon alle Anforderungen bekannt sind, wäre es da nicht viel effizienter direkt mit der Entwicklung loszulegen?
Dies kann ich guten Gewissens mit einem klaren „Nein“ beantworten.
Denn selbst dann, wenn alle Anforderungen bekannt sind, heißt das nicht, dass alle Beteiligten diese auf die gleiche Art interpretieren. Der Kunde glaubt zu wissen, was die Endanwenderin braucht. Die Projektmanagerin glaubt zu wissen, um was der Kunde sie bittet. Und das Entwickler-Team glaubt zu verstehen, was der Projektmanager ihnen erklärt. Hierbei entsteht schnell der Effekt, den wir wohl alle von dem Spiel „Stille Post“ kennen. Jede*r hat ein genaues Bild von dem im Kopf, was benötigt wird, doch am Ende, wenn die Software fertig ist stellt sich heraus, dass mindestens eine Partei die andere falsch verstanden oder etwas fehlinterpretiert hat.
Mit Hilfe eines Prototypen kann ein einheitliches Bild von dem geschaffen werden, was zuvor nur anhand von Worten zu vermitteln versucht wurde. Somit können Missverständnisse meist komplett aus dem Weg geräumt werden und alle Beteiligten haben das gleiche Verständnis von dem, wie das Zielsystem aussehen und funktionieren soll.
Auch wenn die Anforderungen an eine Anwendung noch nicht oder nicht fertig ausgearbeitet sind ist ein Prototyp von Nutzen. Denn mit ihm als Grundlage können (weitere) Erfordernisse viel leichter abgeleitet werden.
Doch nicht nur die Kommunikation zwischen den Beteiligten kann verbessert werden: Mit Hilfe von Prototypen kann eine Anwendung noch vor dem Schreiben der ersten Codezeile getestet werden. Kund*innen und Endanwender*innen können vorab ein Gefühl dafür bekommen, wie die fertige Software aussehen und zu bedienen sein wird. Sie können Feedback geben, um noch vor Beginn der Umsetzung Unstimmigkeiten aufzudecken und somit eine Fehlentwicklung zu verhindern.

Für nahezu jede Funktion gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Um herauszufinden, welche die geeignetste ist, können mehrere Lösungsansätze in einem Prototypen umgesetzt und miteinander verglichen werden. Und das ganz ohne Programmierung.
Wie bereits im vorigen Abschnitt erwähnt, ist das Prototyping auch ideal, um die Realisierbarkeit und den Aufwand in der Umsetzung einzelner Bereiche besser einschätzen zu können. Zeitaufwand und Kosten können somit sehr viel besser beurteilt werden. Prototypen helfen zudem Designentscheidungen zu treffen und ein Gefühl für die Nutzerführung zu entwickeln.
Ein weiterer großer Vorteil eines Prototypen ist, dass er recht schnell erstellt und auch korrigiert oder umgebaut werden kann, wenn das Feedback nicht zufriedenstellend ist oder ein Fehler entdeckt wurde. Mit nur ein paar Klicks kann eine Maske grundlegend verändert werden. In der fertig programmierten Anwendung würden die gleichen Änderungen ggf. mehrere Stunden oder gar Tage dauern und somit hohe Kosten verursachen.
Es ist somit ratsam erst mit der eigentlichen Entwicklungsarbeit zu beginnen, wenn mittels Prototyp alle Unklarheiten beseitigt wurden und alle Komponenten in mehreren Iterationszyklen so lange optimiert wurden, bis alle Beteiligten zufrieden sind. In die Umsetzung starten kann man dann, wenn der gesamte Prototyp oder auch nur ein bestimmter Bereich davon vollständig fertiggestellt ist.
Wie machen wir das bei Softwarekontor?
Jedes Projekt ist einzigartig und keines kann genauso gehandhabt werden wie ein anderes. Doch bewährt hat sich bei uns folgendes Vorgehen:
Wenn wir in einen neuen Auftrag starten, müssen wir zunächst das zu lösende Problem identifizieren und herausfinden, auf welche Weise es behoben werden könnte. Sobald wir genug Informationen gesammelt haben, können wir einen ersten schlichten Prototypen erstellen, der grob die Anforderungen an die Anwendung aufzeigt. Dieser Prototyp visualisiert die Idee und kann von unseren Auftraggeber*innen getestet und bewertet werden, um sicherzustellen, dass es keine Missverständnisse in der Kommunikation gab und alle Bedürfnisse richtig verstanden wurden. Bei Änderungswünschen wird der Prototyp korrigiert und erneut mit den Kund*innen besprochen. Dies wird solange wiederholt, bis alle Beteiligten mit dem Ergebnis zufrieden sind und man mit der Entwicklungsarbeit starten kann.
Gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie eine Idee umgesetzt werden kann, so können sie parallel in einem Prototypen umgesetzt und im Anschluss verglichen werden. Hat man erst einmal ein Modell direkt vor Augen und kann es im kleinen Maßstab testen, so fällt es viel leichter sich für die optimale Lösung zu entscheiden.
Auch in bestehenden Projekten können Prototypen sinnvoll zum Einsatz gebracht werden: Der Bereich der Anwendung, der optimiert oder erweitert werden soll, kann in kürzester Zeit als schlichter Clickdummy nachgebaut und dort überarbeitet oder um neue Funktionen ergänzt werden.
Geht es bei einem Auftrag in erster Linie nicht um die Funktionen, sondern darum, wie die gewünschte Anwendung aussehen könnte, erstellen wir lediglich ein Mockup. Ein Mockup ist quasi ein Prototyp ohne Interaktion. Es zeigt lediglich, wie die Benutzeroberfläche aufgebaut und designet ist.
In jedem der oben genannten Fälle werden unsere Auftraggeber*innen von Anfang an stark mit einbezogen. Denn nur durch regelmäßige Kommunikation können Missverständnisse früh erkannt und beseitigt werden. Sind alle Beteiligten mit dem Modell zufrieden, dient es den Entwicklern als Vorlage für die eigentliche Programmierarbeit.
Fazit
Durch den richtigen Einsatz von Prototypen können nicht nur Zeit und Geld eingespart, sondern auch Nerven geschont und ein besseres Verhältnis zwischen den Beteiligten aufgebaut werden. Dabei sollte man nie aus den Augen verlieren, welches Ziel mit dem Prototypen verfolgt werden soll. Wenn alle Beteiligten von Anfang an in die Planung der Software mit eingebunden werden und in regelmäßigen Abständen ihr Feedback zum aktuellen Stand des Prototypen geben, entsteht eine Anwendung, die alle Anforderungen erfüllt und den Erwartungen der Endanwender*innen entspricht.

Über die Autorin
Lena arbeitet seit 2018 als UX-Designerin bei Softwarekontor. Mit Fokus auf Informationsarchitektur und User Interface Design erstellt sie Konzepte und Prototypen und sorgt dabei durch ihre ganzheitliche Sicht auf die Nutzer*innen für eine intuitive Bedienung der Anwendungen. Als gelernte Kommunikationsdesignerin und Fotografin trägt sie zudem zur Gestaltung des inneren und äußeren Erscheinungsbilds von Softwarekontor bei.
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